E-Commerce | E-Food | News & Insights | Shop Critique | Strategie | Übernahme

DAS GROSSE BRINGMEISTER UPDATE: WAS SICH 6 MONATE NACH DER HAVRLANT-ÜBERNAHME BEREITS VERÄNDERT HAT

Vor rund einem halben Jahr ging der Bringmeister-Verkauf von EDEKA zur tschechischen Rockaway Capital Gruppe um Jakub Havrlant über die Bühne. Mit hochgesteckten Expansions- und Umsatzzielen. Und deutlich mehr Ambitionen als beim Voreigentümer EDEKA, der sich im E-Food Bereich nun voll auf seine Beteiligung bei Picnic eingeschossen hat. Zeit, sich nach den ersten sechs Monaten einmal einen Überblick zu verschaffen.

DEUTSCHLANDS ÄLTESTER LEBENSMITTEL-LIEFERDIENST IM REDESIGN-MODE

Bringmeister zählt als Deutschlands ältester Lieferdienst für Lebensmittel zur den absoluten E-Food Urgesteinen. Bereits 24 Jahre beliefert Bringmeister Kunden mit frischen Lebensmitteln, dessen Anfänge noch auf die Supermarktkette Tengelmann zurückgehen. In 2012 wurde der Name Bringmeister aus der Taufe gehoben, unter dem neu alle bisherigen E-Food Services der Kaisers und Tengelmann Märkte gebündelt wurden, sowie der Unternehmenssitz nach Berlin verlegt. Im Zuge der Tengelmann-Übernahme wechselt Bringmeister 2017 zu EDEKA. Nach anfänglichen Ambitionen, wie bspw. «Same-Day-Delivery», die vielleicht auch mit dem Marktaustritt des Kaufland Lieferservice sowie dem Start von Amazon Fresh in Berlin und München zusammenhingen, führte Bringmeister unter EDEKA in den letzten Jahren eher ein stiefkindliches Dasein. Chancen wurden gefühlt verkannt, Investitionen in Flotte und weiteren Marktausbau verschleppt. Dann im Frühjahr 2021 der Verkauf an Rockaway Capital, das auch am tschechischen E-Food Lieferservice Kosik beteiligt ist. Für Rockaway Capital erfolgt über Bringmeister damit der Einstieg in den deutschen Markt, den Mitbewerber Rohlik mit Knuspr ebenfalls zu adressieren sucht. Für die Marke Bringmeister sicherlich ein Glücksfall, für EDEKA das Ende einer Zweckgemeinschaft.

AUGSBURG – DIE EXPANSION IST GESTARTET

Nach sechs Monaten im Rockaway Capital-Besitz scheint das Thema Expansion bei Bringmeister langsam Fahrt aufzunehmen. Neben den bisherigen Standorten Berlin, Potsdam und München ist Bringmeister im Juni 2021 ebenfalls in Augsburg gestartet. Dort werden derzeit laut Aussage von Bringmeister CEO Patrick Gotzler bei Presse Augsburg derzeit «50 verschiedene Lieferzeitfenster pro Tag» angeboten. Was darauf hindeutet, dass Augsburg erst einmal im Rahmen einer kleinen Expansion als Hub vom Münchner Lager aus mitbedient wird. Der erste leise Expansionsschritt ist kongruent mit der Aussage von Rockaway Capital CEO Havrlant im vergangenen Mai im Handelsblatt, dass in Westeuropa Deutschland «zurzeit der wichtigste und einzige Fokus» sei. Es bleibt spannend, ob und wie hier Bringmeister im Vergleich zum Mitstreiter Knuspr, der schon die nächsten Städte der Expansion bekanntgegeben hat, aufholen wird.

SHOPDESIGN UND REBRANDING – ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN?

Nach dem Rebranding fällt auf der Startseite primär ein leicht verändertes Look and Feel hinsichtlich Farbkonzept und angezeigten Inhalten ins Auge. Der Bringmeister Schriftzug kommt nun einfarbig und ohne Edeka-Logo daher. Dafür ergänzt um den Claim «Dein Online Supermarkt». Auch wurde das Corporate Design leicht abgeändert und um weitere, weniger aggressive Grüntöne ergänzt. Die Farbwahl bei den so genannten CTAs – also Call-to-Action Buttons – wie bspw. ‘Produkt zum Warenkorb hinzufügen’ oder ‘Zur Warenkorbseite’ sind jedoch inzwischen uneinheitlich und nicht mehr im gleichen Farbton gehalten. Allenfalls könnten hier Template-Restriktionen des aktuellen Shop-Systems ein Grund sein. Oder aber ein nicht bis zu Ende durchgedachtes UX Konzept. Generell sollten CTAs aus Nutzersicht der gleichen Farbgebung folgen, um möglichst keine Verwirrung beim Nutzer zu erzeugen.

Auch das bei vielen Lebensmittel-Onlineshops anzutreffende Startseitenkarussell hat bei Bringmeister ein Update erhalten. Dieses glänzt nun mit einem Mix aus WKZ-Inhalten und Verweis auf eigene Kategorien. Nichtsdestotrotz ändert dies nichts daran, dass ein rasant durchruckelndes Startseitenkarussell den Nutzer von weiteren Startseiteninhalten ablenkt und auf Grund der Informationsüberflutung im Rahmen der so genannten Bannerblindheit meist als «blinder Fleck» vom Kunden fast nicht mehr wahrgenommen wird. Und generell eher mieserable Clickraten erzielt. Positiv zu erwähnen sind jedoch die Beschriftungen der CTAs auf dem Slider wie «Jetzt bestellen» oder «Hier entdecken».

Die neue Startseite bei Bringmeister (Quelle: https://www.bringmeister.de/)

War die Startseite bei Bringmeister früher eher karg und aktionsgetrieben, fällt jetzt die Verlinkung unterhalb des Banners auf weitere Landing Pages ins Auge, wie bspw. «Aus der Region» oder zum Bio-Sortiment. Schön ebenfalls, dass hier auch nach den Liefergebieten selektioniert wird und der Kunde bspw. nur die aus seiner Region stammenden regionalen Produkte sieht. So die «Bad Liebenwerda Ginger Ale» oder der «Berliner Radler naturtrüb» für das Berliner Liefergebiet. Auch das Thema Moodbilder und passender Content wurde hier auf den entsprechenden Kategorieseiten um einiges stärker aufgegriffen und in Szene gesetzt.

Der Footer von Bringmeister enthält zwar alle relevanten Infos wie Zertifizierungen und Siegel sowie die Bringmeister Garantien zu Frische und Pünktlichkeit, Zahlungsarten, Social Media Verlinkungen und die obligatorischen rechtlichen Elemente, nimmt aber neu einen ganzen Screen ein. Und wirkt so etwas leer und deplaziert mit recht viel freiem Raum.

Footer Darstellung bei Bringmeister (Quelle: https://www.bringmeister.de/)

STARK VERBESSERTE SUCHFUNKTION – ANTONYME IM FOKUS

Ein grosses Lob in Sachen Nutzerfreundlichkeit muss man Bringmeister zur verbesserten Suchfunktion aussprechen. Insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Suchalgorithmus und der Pflege von Antonymen. Antonyme sind Begriffe, die eine vollkommen andere Bedeutung haben als der eigentliche Suchbegriff. Suchte man vor rund einem Jahr bei Bringmeister noch nach «Wasser», erhielt man alle Produkte, bei denen der Suchalgorithmus das Wortbestandteil Wasser indexierte. Und in den mehr als 200 Suchtreffern ebenfalls destilliertes Wasser, Wassereis, Wasserenthärtertabs, Deo, Katzenfutter und sogar Meerrettich. Die Flanke hat Bringmeister nun erfolgreich geschlossen und zeigt sauber indexierte und passende Suchergebnisse.

Zudem wird auf Suchergebnis- und Kategorieseiten neu auf der ersten Kachel oben links jeweils auf weitergehenden Content oder Aktionsprodukte verlinkt, sofern passender Inhalt vorhanden ist. 

Saubere und konsistente Suche für «Wasser» bei Bringmeister (Quelle: https://www.bringmeister.de/

STÄRKERE BETONUNG VON FRISCHE UND CUSTOMIZING

Gerade im Onlinelebensmittelhandel stellt «Frische» das Kriterium schlechthin zur Differenzierung von Wettbewerbern und zur Betonung von Sortimentskompetenz dar. Dies versucht auch Bringmeister verstärkt für seinen Shop zu nutzen und bündelt im Bereich «Frischetheke» die Bereiche Obst, Käse, Fleisch, Brot & Backwaren. Je nach Bereich ebenfalls bereits mit entsprechender Verknüpfung von ansprechenden Mood-Bildern sowie Content. Zudem ist bei Käse, Fleisch sowie Wurst teilweise bereits ein Customizing hinsichtlich Gewicht und Stück möglich. Bedauerlicherweise jedoch noch nicht im gleichen Umfang wie beim Schweizer Onlineshop coop.ch, der im DACH-Raum hinsichtlich Customizing bei Fleisch, Käse und Fisch zu Recht als Branchenprimus bezeichnet werden darf. Hier dürfte der Grund in der komplexen, dahinterliegenden Shoplogik liegen: Standard-Shopsysteme können die aufkommende Komplexität hinsichtlich Varianten und Customizing im Rahmen von Frischetheken meist nicht vollumfänglich ohne erheblichen Erweiterungsaufwand abbilden.

Customizing-Möglichkeiten innerhalb der Frischetheke bei Bringmeister (Quelle: https://www.bringmeister.de/)

LIEFERZEITEN – FESTE ZEITFENSTER ALS VALUE PROPOSITION

Im Bereich der Lieferzeit spalten gerade zwei extreme Pole die Republik: Einerseits das Extrem der neuen Startups wie Gorillas, Flink, Foodpanda, Mjam und Co., die innerhalb von maximal 60 Minuten nach Bestelleingang liefern. Und andererseits klassische Online-Supermärkte, bei denen vereinzelt eine Lieferung am gleichen Tag möglich ist, wie innerhalb von drei Stunden bei Knuspr oder aber am Folgetag wie beim Schweizer Player Migros Online. Bringmeister punktet hier, wie bereits vorm Redesign, mit einstündigen, über den ganzen Tag verteilten Lieferzeitfenstern. Je nach Verfügbarkeit auch noch am gleichen Tag der Bestellung. 

Zudem betreibt Bringmeister, als einer der wenigen Player im europäischen E-Food Sektor, ein aus der Airline Industrie entlehntes Yield Management-Konzept, bei dem sich die Liefergebühr der verfügbaren Slots in Abhängigkeit von Tageszeit und Auslastung ebenfalls preislich unterscheidet. So können Auslastungsspitzen bei Kommissionierung und Auslieferung geglättet und über den Tag verteilt eine bessere Grundauslastung beim Fulfillment erzielt werden.

Einstündige Lieferzeitfenster und Preisdifferenzierung bei Bringmeister (Quelle: https://www.bringmeister.de/)

FAZIT

Das Bringmeister Redesign zeigt vor allem Eins: Fokus auf bekannte, teils schon länger offene Baustellen, deren Beseitigung und meist konsequente Verbesserung von UX und Customer Journey. Bleibt zu hoffen, dass sich diese erste positive Entwicklung unter dem neuen Investor Jakub Havrlant weiter fortsetzen wird. Und Kapital sowie Zugkraft von Rockaway Capital Bringmeister helfen werden, seine Position im deutschen Markt gegenüber der stärker werdenden Konkurrenz zu halten sowie auszubauen.

Dieser Beitrag erschien erstmals bei etailment – Das Digital Commerce Magazin von Der Handel

ÜBER DEN AUTOR

Prof. Dr. Matthias Schu ist der führende E-Food-Experte im DACH-Raum und Autor von «Das E-Food Buch». Nach über einem Jahrzehnt in leitenden Positionen in Beratung, Business Development und Projektmanagement im In- und Ausland, lehrt er seit September 2020 als Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern. Zudem berät und unterstützt er mit seiner Boutiqueberatung «Dr. Matthias Schu | retail I ecommerce | internationalization strategy», Händler und Industrie bei Projekten, Prozessen und Strategie.


Der Quick Commerce Report – für mehr Speed im Lebensmittel-Onlinehandel

Aktuelle Insights, Marktdaten und Potentialschätzungen sowie detaillierte Player Analysen und deren Strategien ♟ finden Sie ???????? hier ????????

Studie Report Quick Commerce Dr. Matthias Schu

Similar Posts