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E-FOOD BLOG SERIE TEIL 5: LIEFERGEBÜHREN: DOMINIERENDE MODELLE AM MARKT

Neben der Lieferart sind die Liefergebühren und die damit verbundenen Ansätze und Herangehensweisen aus Anbietersicht immer wieder ein kontrovers diskutiertes Thema im E-Food, dem auch aus Kundensicht meist eine hohe Aufmerksamkeit zuteil wird. Doch welche Modelle finden in der Praxis tatsächlich Anwendung, was sind deren Vor- und Nachteile? Und welcher Ansatz ist langfristig erfolgsversprechend? Dem widmet sich der folgende Artikel.

E-Food: LIEFERGEBÜHREN-MODELLE IN DER ÜBERSICHT

Ein weiteres Thema im Lebensmittelonlinehandel, das neben Picking und Fulfillment immer wieder kontrovers diskutiert wird und dem – anders als die beiden vorangegangenen Themen – aus Kundensicht eine hohe Aufmerksamkeit zuteil wird, sind allfällig zu zahlende Liefergebühren.

Beim Blick in den DACH-Raum und auch über den europäischen Tellerrand hinaus fällt auf, dass nicht DAS eine präferierte Modell am Markt zur Festlegung von Liefergebühren anzutreffen ist. Ein bunter Mix von verschiedensten Herangehensweisen ist in der Schweiz und den angrenzenden Nachbarländern vorfindbar, der im Folgenden näher analysiert wird. 

Ein für einen Anbieter optimales Pricingmodell bei den Liefergebühren zeichnet sich heutzutage dadurch aus, dass es aus Kundensicht verständlich und akzeptabel ist, zum jeweiligen Kontext des Händlers und seiner Strategie passt und ihm hilft, seine Kosten für die Dienstleistung «Fulfillment» zumindest teilweise abzudecken. Und so die Unit Economics zu stützen. 

Im E-Food anzutreffende Pricing-Modelle (Quelle: Schu 2022: Der E-Food Pricing Report)

GRATISLIEFERUNG

Ein Modell, das besonders zum Deutschlandstart von Picnic in 2018 für Furore sorgte, ist die Gratislieferung ab Erreichen des Mindestbestellwertes. Im Fall von Picnic liegt dieser nach einer Aufstockung in 2020 von vormals 25 Euro bei 35 Euro. Anders als beim klassischen in der Schweiz vorherrschenden Ansatz mit gestaffelten Lieferkosten richtet sich das Liefergebühren-Modell nicht an der Warenkorbhöhe aus – daher wird aus Händlersicht regelmässig auch die Frage der langfristigen Wirtschaftlichkeit dieses Ansatzes in Frage gestellt, da Kommissionierung und Heimlieferung komplex und im E-Food einer der grössten Kostenblöcke sind. 

Befürworter argumentieren meist mit einem besseren Verhältnis von Stops und Strecke in Bezug auf das einzelne Auslieferfahrzug. Zudem wird bei diesem Modell dem Kunden meist nur eine stark eingeschränkte Anzahl von Lieferslots angeboten, z.B. ein Slot pro Tag. Die Auslieferung erfolgt auf mehr oder weniger festen Routen innerhalb eines Gebiets, wodurch die höhere Anzahl von Stops generiert werden kann und Effizienzvorteile auf der Kostenseite möglich werden. Der zur Migros Genosenschaft Aare gehörende Onlineshop myMigros praktiziert ebenfalls Gratislieferung ab einem Bestellwert von CHF 80, jedoch ohne eine Einschränkung der Lieferslots wie bei Picnic.

Des weiteren ist davon auszugehen, dass die Position «Liefergebühr» in der Deckungsbeitragsrechnung der Händler immer stärker erodieren wird. Und vom Kunden mittelfristig auch bei E-Food eine Gratislieferung verlangt werden wird. 

FIXE GEBÜHR

Im Falle der fixen Gebühr zahlt der Kunde eine feste Pauschale pro Bestellung. Und zwar unabhängig vom Warenwert. Diese Art der Gebühr ist vor allem im Bereich der Restaurant Delivery Anbieter und im Quick Commerce anzutreffen, z.B. bei eat.ch oder Stash. Teilweise sind auch Kombinationen mit einem Mindestbestellwert oder mit Bestellwertschwellen, anzutreffen, ab der die Gebühr dann entfällt (z.B. bei myMigros).

Die grossen Vorteile aus Kundensicht sind eine leichte Verständlichkeit des Modells, sowie eine generell höhere Wiederbestellrate, falls die zu entrichtende Gebühr eher klein ist. Allerdings führt dies dann andererseits zu einem fehlenden Incentive, warum der Kunde mehr pro Warenkorb bestellen sollte, was sich durch tendenziell erhöhte Bestellfrequenz negativ auf die Prozesskosten beim Anbieter auswirkt.

GESTAFFELTE GEBÜHR

Das quasi klassische Modell im Schweizer E-Food wendet gestaffelte Liefergebühren an, die in Abhängigkeit der Warenkorbhöhe variieren. Generell gilt: Je höher der Warenkorb, desto geringer die Liefergebühr, teilweise bis hin zur Gratislieferung. Wird eine Warenwertschwelle im Warenkorb erreicht, findet die nächsttiefere Liefergebühr Anwendung. In der Schweiz finden gestaffelte Liefergebühren bei Coop, Migros online sowie bei Farmy Anwendung. 

Die Warenkörbe fallen bei gestaffelten Gebührenmodellen meist grösser aus; der Kunde bestellt also mehr, um nächste Schwelle mit geringerer Liefergebühr zu erreichen. Zudem erzielt der Händler einen vergleichsweise hohen finanzieller Anteil zum Deckungsbeitrag pro Warenkorb. Also Mako ist jedoch festzuhalten, dass die hohen Gebühren bei kleineren Warenkörben – meist in Kombination mit hohem Mindestbestellwert – bestimmte Kundensegmente (z.B. Singlehaushalte, Studierende, Einkommensschwache) eher abschrecken oder eine Bestellung verunmöglichen.

FIXE GEBÜHR MIT MARKUPS

Die zugrunde liegende Idee bei diesem Modell ist, dass eine pauschale Liefergebühr und ein vorhandenes Servicelevel um zusätzliche Services erweitert wird, die der Kunde gegen ein weiteres Entgelt dazu buchen kann. Primär ist dieses Modell im Restaurantliefergeschäft anzutreffen; oftmals in Form einer priorisierten Auslieferung gegen zusätzliches Entgelt. Somit handelt es sich um eine Art Premium Option bei Auslieferung, um eine höheren DB zu erwirtschaften. Derzeit wendet Uber Eats dieses Modell in Berlin an: Bei Auslieferung wird man für + EUR 1 als erster angefahren und die Pizza kommt vielleicht noch warm an. Der Charme aus Anbietersicht: Ohne grosse Mehrkosten können die Unit Economics verbessert und eine höhere Zahlungsbereitschaft bei den Kunden abgeschöpft werden. Aus Kundensicht nachteilig ist an diesem Modell jedoch, dass der Kunden im Basispaket nur eine Art Grundleistung erhält und für besseren Service Mehrausgaben tätigen muss.

LIEFERABO

Die seit ein paar Jahren aufkommenden Lieferflats können als eine Art Abomodell gesehen werden: Der Kunde bezahlt einmalig einen Betrag x und kann innerhalb einer Zeitspanne eine bestimmte Anzahl von Gratislieferungen, bspw. eine pro Tag, in Anspruch nehmen. Damit sind alle für die Gratislieferungen anfallenden Liefergebühren aus Kundensicht gedeckt. Vorreiter dieses Modells ist der britische E-Food Anbieter Ocado, der mit seinem Smart Pass einer der ersten Onlinelebensmittelhändler war, die Lieferflats anboten. In der Schweiz sind Lieferabos bei Migros online sowie Farmy im Einsatz. 

Dem Abomodell kommt aber noch eine weitere Aufgabe zu: Weit wichtiger als den Kunden nur zum vermehrten Bestellen anzuregen ist die gleichzeitige Schaffung von sog. «Lock-in»-Effekten – es wird versucht, den Kunden im System und im eigenen Universum zu halten und somit neben Bestellhäufigkeit auch die Loyalität zum eigenen Shop positiv zu beeinflussen. Quasi wie bei den Programmen von Amazon Prime oder Walmart+. Auch in der Schweiz existiert ein ähnliches Modell mit grossem Potential, an dem sich im Food-bereich sowohl myMigros als auch Migros online beteiligen: Migros M-Plus.

DYNAMIC PRICING

Dynamic Pricing, das auch als Yield Management bezeichnet wird, wurde ursprünglich in den 70er Jahren in der Luftfahrtindustrie entwickelt und erfreut sich neben Fluggesellschaften insbesondere bei Hotels und Autovermietern einer grossen Beliebtheit. Ziel ist die Schaffung eines Systems zur besseren Steuerung der eigenen Auslastung in Relation zur Nachfrage. 

Inzwischen hat Dynamic Pricing, das teilweise auch als Ertragsmanagement bezeichnet wird, ebenfalls Einzug im E-Food bei der Bestimmung der Liefergebühren gehalten. Neben dem Brechen von Spitzen und Umverteilung von stark nachgefragten und somit teureren auf weniger gefragte und als Folge günstigeren Lieferslots steht insbesondere die Idee von Ertragsoptimierung durch Ausnutzen der Nachfrage sowie das Erzeugen einer kalkulierbaren Grundauslastung im Vordergrund, um die generell hohen Kosten der Eigenauslieferung besser decken zu können. 

Der norwegische E-Food Händler ODA sowie Bringmeister aus Deutschland wenden obiges Prinzip an und bieten verfügbare Lieferslots zu unterschiedlichen Liefergebühren an. Stark nachgefragte Lieferslots am Abend sind dabei teurer, eher unattraktive am Vormittag oder frühen Nachmittag günstiger.

In der Schweiz hat Dynamic Pricing bei den Liefergbühren bisher noch keinen Einzug gehalten, wird aber immer wieder einmal bei den verschiedensten Anbietern als Option thematisiert.

Dieser Artikel erschien erstmalig am 03.11.2022 im Digital Commerce Blog der Schweizerischen Post

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ÜBER DEN AUTOR

Prof. Dr. Matthias Schu ist der führende E-Food-Experte im DACH-Raum und Autor von «Das E-Food Buch». Nach über einem Jahrzehnt in leitenden Positionen in Beratung, Business Development und Projektmanagement im In- und Ausland, lehrt er seit September 2020 als Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern. Zudem berät und unterstützt er mit seiner Boutiqueberatung «Dr. Matthias Schu | retail I ecommerce | internationalization strategy», Händler und Industrie bei Projekten, Prozessen und Strategie.

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