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E-FOOD BLOG SERIE TEIL 6: DIE NÄCHSTEN JAHRE: QUO VADIS E-FOOD SCHWEIZ

Coronakonjunktur, Ukrainekrise, Lieferkettenprobleme, Inflation, Konsumzurückhaltung. Seit 2020 herrscht im Handel Ausnahmezustand. Nach der einmaligen Sonderkonjunktur für den Onlinehandel herrscht mancherorts Katerstimmung im Zuge der drohenden Wirtschaftskrise. Doch wie sieht es im Schweizer Lebensmittelonlinehandel aus?

WO GEHTS HIN IM SCHWEIZER E-FOOD?

Im Zuge der diesjährigen K5 Konferenz Ende Juni in Berlin präsentierte Jochen Krisch, Konferenzmitgründer und Herausgeber des Exciting Commerce Branchenblogs, der zu den Vorreitern in der deutschen E-Commerce Szene zählt, „The State of Online-Retail“. Und damit einen Wasserstandsanzeiger als groben Indikator, wie Unternehmen durch die bisherige Krise gekommen sind. Als zugrundeliegenden Indikator wählt Jochen die umsatzseitige Veränderung von 2019 zu 2022. Und setzt diese prozentual ins Verhältnis.

Bei dieser Vorgehensweise wird als Interpretation festgelegt: 

  • «Wer umsatzseitig heute (mehr als) doppelt so hoch liegt wie 2019, ist top unterwegs und hat die Corona-Zeit optimal für sich genutzt.»
  • «Wer um 75% bis 100% gewachsen ist, hat in der Corona-Zeit ei nen guten Job gemacht und liegt im grünen Bereich (bei angenommenen Wachstumsraten zwischen 20% und 25% pro Jahr).»
  • «Nur wer seit 2019 weniger als 50% zugelegt hat, sollte sich ernsthafte Gedanken machen, was in der Corona-Zeit schief gelaufen ist.»

Diese Faustformel soll nun einmal auf den Schweizer E-Food Markt und die Haupt-Player übertragen werden. Dabei lässt sich feststellen: Gesamthaft gesehen haben die vier führenden Schweizer E-Food Player nach der obigen Faustformel mit einer Verdopplung der gesamthaften Umsätze seit 2019 abgeliefert. 

Vor allem die jüngeren Player Farmy und v.a. myMigros haben umsatztechnisch das Maximum aus der Corona-Pandemie herausgeholt und sich mehr als verdoppelt. Coop und Migros online liegen jedoch mit einem jeweiligen Wachstum über 80% ebenfalls im grünen Bereich. Hier dürften v.a. Restriktionen bei Personalkörper, Lagerplatz und Auslieferstrukturen als Hemmschuh gewirkt haben. Nach der Krisch’schen Faustregel lassen sich den primären Spielern im Schweizer E-Food Markt also gute Werte attestieren.

Entwicklung der E-Food Umsätze der Haupt-Player seit 2019 (Quelle: © Mathias Schu 2022)

DER BLICK IN DIE GLASKUGEL – WEITERE TENDENZEN IM SCHWEIZER MARKT

Wagen wir einmal den Blick in die Glaskugel und auf Trends, die ebenfalls für den Schweizer E-Food Sektor an Relevanz gewinnen. Bereits die vergangenen 2 Jahre haben gezeigt, dass der Lebensmittelonlinehandel das Potential hat, aus seiner Nischenpositionierung herauszukommen. Und als Pacemaker und Implementator neue Standards für die gesamte E-Commerce Branche setzen kann. Insbesondere Lieferverfügbarkeit, hohe Bestellfrequenz und Geschwindigkeit sind hier die relevanten Themen. 

Damit prädestinieren sich E-Food Anbieter, wie von Jochen Krisch für den deutschen Markt angedeutet, auch in der Schweiz als Plattformen der nächsten Generation, um hier neuen Mehrwert und ein funktionierendes Ökosystem für den Kunden zu schaffen. Zumindest, wenn die Player neben Food auch den Non-Food Sektor stärker beackern und miteinbeziehen.

Ebenfalls geht der Trend hin zu Sameday Delivery und planbaren Lieferslots von maximal einer Stunde, in denen der Kunde auf die Bestellung daheim zur Entgegennahme warten möchte. Auch in der Schweiz geht der Kundenwunsch immer stärker in Richtung Flexibilisierung und kürzeren Vorlaufzeiten. 

Quick Commerce spielt in der Schweiz auf Grund der hohen Lohnkosten und gesetzlichen Regulatorien in Bezug auf Sonntagsarbeit auch zukünftig eher eine untergeordnete Rolle, respektive wird nicht die gleiche Verbreitung wie im restlichen DACH-Raum erlangen. Die Zurückhaltung der jetzigen Player, bekannte Finanzierungsprobleme mit Venture Capital Gebern sowie deren Cost-Cutting Bestrebungen deuten darauf hin, dass die Schweiz allenfalls in 6-12 Monaten sogar wieder eine Quick Commerce freie Zone werden könnte.

Dass die Schweiz im E-Food Bereich ein herausfordernder Markt für ausländische Player ist, zeigt sich auch bei den bisherigen Markteintritten ausländischer Mitstreiter. Der Markteintritt von Gorillas beschränkte sich auf eine Briefkastenadresse in Zürich; auf Grund der aktuellen Finanzierungsprobleme des Quick Commerce Startups und ersten Rückzügen aus verschiedenen europäischen Märkten und der potentiellen Übernahme durch Getir, dürfte das Thema Schweiz damit auch langfristig vom Tisch sein. 

Auch Rohlik wird hin und wieder als neuer Kandidat für den Schweizer E-Food Markt gehandelt. Hier gehe ich jedoch davon aus, dass Rohlik das für solch einen Markteintritt aufzuwendendes Kapital (Lagerstruktur, Länderorganisation inkl. Einkauf, Flotte, Mitarbeitende etc.) effizienter und mit deutlich grösserem Hebel in seinen neuen Ländermärkten und der dortigen Expansion einsetzen kann. Dass sich auch grosse Player am Schweizer Markt und dessen Besonderheiten die Zähne ausbeissen können, zeigt nicht zuletzt das stationäre Abenteuer der französischen Carrefour-Gruppe, die von 1999 bis 2007 den Versuch einer Expansion unternahmen.

Bei den Liefergebühren zeichnet sich immer stärker ein Shift in Richtung «Gratislieferung» ab; mittelfristig werden diese auch in der Schweiz gen Null streben. Solange Liefergebühren noch möglich sind, sollten Anbieter eine Abschöpfungsstrategie verfolgen. Und parallel mit Hilfe von Automatisierung ihre Prozesse in Lager und letzter Meile auf Effizienz trimmen.

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FAZIT

Abschliessend bleibt noch zu sagen: Es bleibt zu hoffen, dass die etablierten Player auch zukünftig weiterhin Mut zeigen, um den Fuss weiter von der Bremse zu nehmen und aufs Gas zu setzen. Und den Schwung der letzten beiden Jahre fortzuführen und die stetig wachsende und noch lange nicht befriedigte Nachfrage der Schweizer Kunden zu bedienen.

Dieser Artikel erschien erstmalig am 10.11.2022 im Digital Commerce Blog der Schweizerischen Post

ÜBER DEN AUTOR

Mit über einem Jahrzehnt Erfahrung in Beratung, Business Development, mit Fokus Food und Near-Food zählt Prof. Dr. Matthias Schu als führender Experte im Bereich E-Grocery im deutschsprachigen Raum.
Nach seinem Studium mit Schwerpunkt Handel promovierte er in E-Commerce-Internationalisierung an der Universität Freiburg, Schweiz. Seine berufliche Laufbahn führte ihn durch leitende Positionen bei Unternehmen wie Praktiker Deutschland, SBB Consulting und der Coop Gruppe, bevor er 2020 an die Hochschule Luzern wechselte und dort als Professor für E-Commerce und Handel unterrichtet.
Seine Kernkompetenzen mit Fokus auf Strategie und Prozessoptimierung bei Food und Near-Food umfassen: Lebensmittel-Onlinehandel, Quick Commerce, Restaurant Delivery, Fulfillment, Letzte Meile.
Er ist Herausgeber des «E-Grocery Spotlight»-Newsletters, Mitglied der K5 Köpfe, des K5 Expert Circle und des etailment Expertenrats.

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