DAVID GEGEN GOLIATH: GROVY – ERFOLGREICHE LOKALE HELDEN IN EINEM DYNAMISCHEN WACHSTUMSMARKT
Vor knapp einem Jahr ging im Dezember 2020 in Frankfurt das Startup grovy an den Start. Die Mission: Lebensmittel zu Supermarktpreisen mit dem E-Bike innerhalb von 10 Minuten zum Kunden bringen. Und den Proof of Concept erbringen, dass Quick Commerce mit starker Fokussierung auf Prozesseffizienz und datengetriebener Vorgehensweise profitabel betrieben werden kann. Und man in den richtigen Märkten auch gegen die grossen der Branche wie Gorillas, Flink, Getir, DoorDash und Foodpanda ohne Scheu bestehen kann.
THE STORY BEHIND – ODER WIE ES 2019 ZUR IDEE ZU GROVY KAM
Die Idee zu grovy kam dem Gründerteam rund um die beiden Brüder Justin und Chris bereits im Herbst 2019, als sie nach einem gemeinsamen Tag im Shared Office abends zusammen in einem Frankfurter Supermarkt einkauften und dann über eine halbe Stunde an der Kasse anstehen mussten. In den letzten 50 Jahren war nach Einführung der Selbstbedienungsläden keine grosse und vor allem keine technische Revolution mehr im Lebensmittelhandel zu beobachten. Und Convenience sowie Customer Centricity steht auch heute beim klassischen Wocheneinkauf immer noch zu wenig im Fokus.
Ein neues Konzept sollte also her. Und zwar mit Heimlieferung, um das nervige Schlange stehen zu umgehen. Die erste Idee eines asset-light Modells mit Private Shoppern, wie es Instacart in den USA oder auch bringoo in Deutschland praktiziert, wurde alsbald wieder verworfen, da ein verlässliches Inventory Management nur mit erheblichem Aufwand möglich ist und es so immer wieder zu Out-of-Stock Situationen kommen kann, die gerade online die Kunden noch mehr frustrieren als im stationären Handel. So wurde der Entscheid für ein Geschäftsmodell mit eigenen Darkstores getroffen.
Die erste Welle der Corona Pandemie offenbarte dann umso stärker das Marktpotential für jeglichste E-Food Ansätze in Deutschland. Pünktlich zum 2. Lockdown startete dann grovy im Dezember 2020 mit den ersten Auslieferungen.

Das Gründerteam von Grovy (Quelle: grovy)
DIE VALUE PROPOSITION – WOFÜR GROVY STEHT
Grovy steht in erster Linie für eines: Lieferung von mehr als 2‘200 verschiedenen Produkten aus einem breiten Sortiment zu Supermarktpreisen aus eigenen Lagern. Und möchte sich durch den Sortimentsmix klar differenzieren von anderen Mitstreitern wie Gorillas, Flink oder Foodpanda: Neben den klassischen Food- Ankerartikeln und dem branchenüblichen Fokus auf Alkohol, Convenience- und Snackartikeln, findet man bei grovy ebenfalls einen bunten Non-Food Mix, der eher an das Angebot eines grossen SB-Warenhauses oder Megastore erinnert, statt an einen Quick Commerce Anbieter. So reicht die Auswahl über Büroartikel, Heimtierbedarf, Marken-Unterwäsche bis hin zu den Apple AirPods, der Apple Watch SE, Dübeln oder dem Akku-Bohrschrauber. Der Hauptfokus liegt jedoch klar auf dem Supermarktsortiment.

Die Shopping-App von grovy – Einfachheit und Übersichtlichkeit im Fokus (Quelle: grovy)
Bei der Auslieferung setzt grovy zudem auf Nachhaltigkeit und E-Bikes. Zudem verzichtet man auf Plastik und setzt auf recyclebare Papiertüten. Was grovy beim Fulfillment und der letzten Meile ebenfalls unterscheidet: Kunden können zwischen den beiden Lieferoptionen „Ultrafast“ innerhalb 10 Minuten für 1.95 EUR sowie „Team friendly“ innerhalb von max. 30 Minuten nach Bestelleingang für 0.95 EUR wählen. Der Vorteil für grovy: weniger Stress beim Ausliefern für die Kuriere und die Möglichkeit von so genanntem „Order Pooling“, also dem Zusammenausliefern von Bestellungen, die im etwa gleichen Stadtgebiet parallel anfallen. Was sich als grosser Hebel auf die Unit Economics und damit Profitabilität auswirken sollte.
Zudem kommt den Ridern bei grovy eine besondere Bedeutung zu: Sie sind der einzige physische Touchpoint des Startups in einer sonst voll digitalisierten Welt. Und sollen daher den Qualitätsanspruch von grovy quasi als freundliches Aushängeschild auch an die Kunden weitervermitteln.
SHOPTECH – ANFÄNGLICH WHITELABEL, NUN VOLLSTÄNDIGE EIGENENTWICKLUNG
Auf der Technologieseite hat sich bei grovy eine 180 Grad-Wende eingestellt. Während man im Dezember 2020 noch mit Hilfe einer Whitelabel-Lösung startete, hat sich recht schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese nicht den eigenen Ansprüchen genügt und hinsichtlich individueller Anpassungen sowie eigenen Prozessen und gewünschtem datengetriebenen Vorgehen bei der KPI-Erfassung zu unflexibel ist.
Ab März 2021 arbeitet man daher an der Eigenprogrammierung auf App-Basis für iOS und Android, die inzwischen auch den Kunden zur Verfügung steht. Dabei hat sich grovy das Ziel gesetzt, in 12-24 Monaten eine vollständig selbst programmierte Systemlandschaft zu besitzen, um auch den kleinsten Prozessschritt im Lager so effizient wie möglich abbilden und auswerten zu können. Denn bei grovy ist man überzeugt: Die Zukunft ist datengetrieben. Und auf Basis dessen möchte man zukünftig den Kunden noch besser personalisierte Angebote und Dienstleistungen unterbreiten, bspw. einen bereits vorausgefüllten Warenkorb basierend auf den bisherigen Bestellgewohnheiten.
Picker in einem grovy Darkstore (Quelle: grovy)
Auch hat grovy in seiner App eine Scan-Funktion verbaut: Einerseits können Kunden damit schneller nachbestellen, indem einfach der Barcode des zu Neige gehenden Wunschprodukts gescannt und dies in den Warenkorb gelegt wird, andererseits betreibt man damit aktives Sortimentsmanagement. Nicht gelistete Produkte, die aber oft gescannt werden, sind ein Kundenwunsch und können der Sortimentserweiterung dienen.

Barcode-Scanfunktion in der grovy App (Quelle: grovy)
WACHSTUM UND LANDGRAB – AUCH FÜR GROVY RELEVANT
Quick Commerce als relativ junge Spezialisierung im E-Food zeichnet sich derzeit bei allen Playern primär durch eines aus: Investoren-finanziertes «Landgrab». Heisst: Schnelles Wachstum und Besetzen von Städten und strategisch wichtigen Märkten, kombiniert mit einer schnellen Gewinnung von Marktanteilen und einer stabilen Kundenbasis. Praktiker sprechen bei Neukundengewinnung im Quick Commerce unisono von 3-4 Bestellungen, die der Kunde bei einem Anbieter machen muss, um diesem dann auch über einen längeren Zeitraum treu zu bleiben.
Grovy startete seine Deutschland-Expansion in Frankfurt am Main und ist seit Mai 2021 ebenfalls in Mainz aktiv. In Frankfurt sind ebenfalls Gorillas und Flink aktiv. Auch abseits von Berlin oder Hamburg wird der Wettbewerb im Quick Commerce in deutschen Metropolen allmählich rauer. Während sich die meisten Anbieter derzeit auf westeuropäische Metropolen und damit den «Red Ocean» fokussieren, um es mit den Worten der Autoren Kim und Mauborgne auszudrücken, fokussiert grovy auf den «Blue Ocean» und Märkte in Osteuropa, die hinsichtlich Quick Commerce deutlich weniger stark erschlossen, aber attraktiv sind. Um das Wachstum in Osteuropa voranzutreiben, hat grovy im vergangenen Dezember eine Finanzierungsrunde in Höhe von 3 Millionen Euro unter der Leitung von Lighthouse Ventures abgeschlossen, und bereits Niederlassungen in Prag und Bukarest gegründet.
Weitere Gründe, die für den osteuropäischen Markt sprechen, sind: Deutlich geringere Operation Costs (OPEX), eine Fokussierung der Bevölkerung auf Markenprodukte, die jedoch ähnlich teuer sind wie im Westen, eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte in den Städten sowie die bereits stark ausgeprägte Fokussierung auf Convenience und Personal Shopper Konzepte mit asset-light Ansätzen.
So wundert es auch nicht, dass sich grovy primär auf Städte fokussiert, die eine hohe Bevölkerungsdichte pro qkm aufweisen, mehr als eine halbe Million Einwohner besitzen, die Bevölkerungsstruktur mehrheitlich zwischen und 20 und 35 Jahre alt ist und somit eher die so genannten early adopters für Quick Commerce Angebote mit entsprechender Convenience-Orientierung und Offenheit beheimatet. Zudem sollten die Städte auch nicht zu hügelig sein, um mit dem Fahrrad gut ausliefern zu können.
Der Soft-Launch in Rumäniens Hauptstadt Bucarest erfolgte am 10. November, die Tschechien-Expansion mit dem Start in Prag Mitte Dezember, Polen und Ungarn folgen im ersten Quartal 2022. Zudem hat man sich mit dem Prager Startup Freš bereits einen anderen Schnell-Lieferdienst einverleibt.
grovy Riderin bei der Auslieferung (Quelle: grovy)
FAZIT
Grovy bietet einen erfrischend vom Mainstream abweichenden Quick Commerce Ansatz mit einem motivierten und dynamischen Team dahinter. Gerade dies mit der klaren Fokussierung auf den Wert von effizienten, daten- und technologiegetriebenen Prozessen lassen hoffen, dass die angestrebte Ausrichtung und der Landgrab in Osteuropa gelingen kann. Der Glaube an grovy zeigt sich auch auf Investorenseite, die die laufende Osteuropa-Expansion mit einem siebenstelligen Seed-Investment unterstützen. Auch die kürzlich verkündete Kooperation als Lieferpartner für Lieferando, mit der Lieferando sein in Deutschland bisher eher klägliches Quick Commerce Engagement punktuell aufbessern möchte, kann grovy zu weiterem Wachstum verhelfen. Persönlich bin ich gespannt, wo grovy in einem Jahr stehen wird.
Dieser Beitrag erschien erstmals bei etailment – Das Digital Commerce Magazin von Der Handel
ÜBER DEN AUTOR
Dr. Matthias Schu ist der führende E-Food-Experte im DACH-Raum und Autor von «Das E-Food Buch». Nach über einem Jahrzehnt in leitenden Positionen in Beratung, Business Development und Projektmanagement im In- und Ausland, lehrt er seit September 2020 als Dozent für E-Commerce und Handel an der Hochschule Luzern. Zudem berät und unterstützt er mit seiner Boutiqueberatung «Dr. Matthias Schu | retail I ecommerce | internationalization strategy», Händler und Industrie bei Projekten, Prozessen und Strategie.